„Macht per se interessiert die meisten Frauen nicht“

Frau Univ. Prof. Dr. Christiane Kuhl wurde 1966 in Bonn geboren. Der heutigen Bundesstadt blieb sie auch in den folgenden Jahrzehnten treu: Sie ging dort zur Schule, studierte im Anschluss dort Medizin und nahm 2004 eine C3-Stelle in der Onkologischen Diagnostik und Interventionellen Radiologie am Uniklinikum Bonn an. Heute lebt sie zusammen mit ihrem Partner in Aachen und ist dort Direktorin der Klinik für Diagnostische und Interventionelle Radiologie des Uniklinikums. Im Interview mit der Redaktion von www.hellste-koepfe.de spricht Frau Prof. Kuhl über ihre neue Rolle in einer Führungsposition.

Wie sind Sie damals zum Fach Radiologie gekommen?

Eigentlich wollte ich gar nicht in die Radiologie. Das kam eher zufällig, und jetzt bin ich natürlich froh darum. Nachdem ich schon mit fünf verschiedenen Doktorarbeiten begonnen hatte, die mich alle weder sonderlich interessierten noch sonderlich gut betreut waren, hatte mir ein Kommilitone vorgeschlagen, es einmal mit der Radiologie zu versuchen. Ich begann dort eine Doktorarbeit zur MR-Spektroskopie, die mir viel Spaß gemacht hat. Ich war sofort hingerissen von dem Informationsgehalt, den die MR-Spektren und MR-Aufnahmen boten, ohne dass der Patient dazu aufgeschnitten werden musste. Dennoch wollte ich später nicht in diesem Fachbereich anfangen, da ich immer ein operatives Fach angestrebt hatte. Geliebäugelt habe ich damals mit der Neurochirurgie und der Gynäkologie. Mein PJ musste ich damals an einem peripheren Haus starten, da es zu viele Medizinstudenten gab. In dieser Situation rief der damalige Chef der Radiologischen Uniklinik Bonn auf meiner Station an und fragte mich – und das nicht zum ersten Mal –, ob ich nicht bei ihm anfangen wollte. Nach reiflicher Überlegung dachte ich, dass ein AiP in der Radiologie nicht schaden kann, da es bei allen anderen Facharztrichtungen angerechnet werden kann. Ich nahm an – und bin geblieben.

Was weckte Ihr Interesse an der Forschung?

Die Doktorarbeit in der Radiologie zeigte mir die Vielfältigkeit und die Anwendungsnähe radiologischer Forschung. Das faszinierte mich und förderte mein Interesse an der Forschung.

Hatten Sie geplant, später einmal Karriere zu machen?

Nein (lacht), natürlich nicht. Das hat sich eher so entwickelt und mich letztlich dahin geführt, wo ich heute bin. Ich glaube, Frauen suchen ganz allgemein nicht unbedingt Führungspositionen, da eine solche Position ihnen nicht unbedingt das gibt, was sie suchen. Frauen wollen gerne helfen, Frauen wollen sich im Team für eine gute Sache einsetzen. Sie sehen in einer formalen Habilitation oder ganz allgemein in akademischen Titeln oft keinen besonderen Sinn – wenn sie forschen, dann forschen sie, weil sie es interessant und das Thema wichtig finden. „Zweckgebundene“ Forschung, die nur dem Ziel einer Anhäufung von Impact-Faktoren dient, ist den meisten Frauen fremd.

Frauen suchen in aller Regel grundsätzlich keine „Machtpositionen“ – Macht per se interessiert die meisten Frauen nicht besonders. Führungspositionen an Universitätskliniken fordern einen extrem hohen Arbeitseinsatz, Stehvermögen und eine riesige Frustrationstoleranz; sie bedeuten täglich viel Administration und Politik und weniger Patientenversorgung und Wissenschaft. Männer nehmen dies gern in Kauf, weil für sie der Gewinn an Status, an Macht und an Einfluß, der mit solchen Positionen einhergeht, wichtige Faktoren sind, die die Lebenszufriedenheit maßgeblich beeinflussen. Frauen dagegen sehnen sich eher nach Familie, Freunden und einem intakten Zuhause – und danach, eine gute Ärztin für ihre Patienten zu sein.

Der zur Erreichung einer Führungsposition notwendige Konkurrenzkampf ist eine weitere Hürde: Ein solcher „Wettbewerb in eigener Sache“ ist für die meisten Männer selbstverständlich und natürlich – Frauen finden das eher unangenehm. Das fängt schon bei kleinen Jungen an. Die rufen „Wer ist schneller vorn am Zaun?“ – und rennen los. Jungen messen sich dauernd miteinander – sie sehen Konkurrenz sportlich. Für Mädchen – und so auch für Frauen – ist Konkurrenz eher eine Belastung als ein Ansporn. Ein Grund dafür ist auch, dass Frauen oft überaus selbstkritisch sind. Sie haben dauernd Zweifel an ihrer eigenen Kompetenz; sie zweifeln an sich und ihrem Können und würden daher nie von sich selbst behaupten, sie seien für eine Führungsposition prädestiniert. Es ist eher ihr Ziel, gute klinische oder wissenschaftliche Arbeit zu leisten. Und eine gute Fachärztin zu werden, ist schon schwierig genug. In ihren eigenen Augen genügt ihr eigenes Können nie – Frauen versuchen daher oft, ihre Qualifikation zu verbessern, indem sie sich immer noch mehr fortbilden und lernen. Damit haben sie noch weniger Zeit für Wissenschaft und Forschung – und kommen gar nicht auf die Idee, dass sie sich für eine Führungsposition eignen.

All diese Punkte führen dazu, dass Frauen praktisch nie planen, Chef einer Klinik zu werden. Sie schrecken davor zurück, auch wenn sie durchaus dazu in der Lage wären – bzw. sie streben derartige Positionen gar nicht erst an, weil sie andere Schwerpunkte setzen. Hier muß man ansetzen und den jungen Frauen vermitteln, dass eine solche Position Spaß machen kann, weil sie es ermöglicht, eine ganze Klinik nach eigenen Vorstellungen zu prägen und zu führen.

Sie wurden vor drei Jahren an die Harvard-Universität nach Boston berufen. Darf man fragen, warum Sie ablehnten?

Man muss wissen, dass die Radiologie in den USA ganz anders organisiert ist als in Deutschland. Der Fachbereich ist in einzelne Sektionen gegliedert, denen jeweils ein Chef vorsteht. Ich hätte dort die Sektion „Mammadiagnostik“ übernehmen sollen, befürchtete aber letztendlich, dass das auf Dauer für mich zu eintönig geworden wäre, und wollte mich nicht so einschränken lassen. Es wird einem enorm viel geboten von der Universität und das Angebot war verlockend, aber es hätte keine Möglichkeit mehr gegeben, wieder zurück nach Deutschland zu kommen. Hier gibt es schließlich eine solche sektorielle Unterteilung nicht, und ich wäre in allen anderen Bereichen nicht mehr auf dem neuesten Stand gewesen.

Im Mai sind Sie Direktorin in Aachen geworden. Was veranlasste Sie, die Stelle hier anzunehmen?

Die Radiologie in Aachen hat einen hervorragenden Ruf. Die Klinik ist breit aufgestellt und bietet das gesamte breite Spektrum an diagnostischen und interventionellen Verfahren der modernen Radiologie – das macht viel Freude. Die wissenschaftlichen Möglichkeiten, die sich vor Ort durch die Zusammenarbeit mit den vielen anderen Klinischen Fachrichtungen – mit dem Helmholtz-Institut für Medizintechnik, mit dem Institut für Molekulare Bildgebung, dem Institut für Bildverarbeitung und dem Institut für Versuchstierkunde – ergeben, sind ganz außerordentlich attraktiv. An der RWTH wird die Radiologie mit einbezogen; es wird gemeinsam an interdisziplinären Projekten wissenschaftlich gearbeitet. Es forscht nicht jeder für sich, sondern ein Miteinander ist gewollt und wird auch praktiziert.

Es gibt nicht viele Frauen in Führungspositionen und schon gar nicht in einem so technischen Bereich wie der Radiologie. Wie kommen die Mitarbeiter damit zurecht? Gab es am Anfang Schwierigkeiten?

Nein, eigentlich gab es da keine speziellen Schwierigkeiten. Die Mitarbeiter aus meiner Klinik sind sehr engagiert; die anderen Klinikdirektoren sind sehr nett, so dass ich mich relativ schnell eingelebt habe. Es war sicher hilfreich, dass ich auch schon in Bonn eine Universitätsprofessur innehatte und viele administrative und universitäre Aufgaben zu erledigen hatte. Der größte Unterschied ist vielleicht, dass mir plötzlich alle zuhören, weil ich die Chefin bin (lacht). Dass ich eine Frau bin, ist da eher kein Problem. Ich habe sicherlich einen anderen Führungsstil als mein Amtsvorgänger – aber das ist ja nur natürlich.

Nun noch eine persönliche Frage: Wie lässt sich das Privatleben mit der Stelle vereinbaren?

Eigentlich lässt es sich gar nicht vereinbaren. Ich bin in der glücklichen Lage, dass mein Partner mit nach Aachen gekommen ist. Allerdings ist das Privatleben arbeitsbedingt im Moment auf ein Minimum reduziert.