Faszination Neuroradiologie – Dem Gehirn beim Denken zusehen

Ein Fach zwischen filigranem Handwerk und zukunftsweisender Hirnforschung: die Neuroradiologie. Von Professor Dr. med. Rüdiger von Kummer, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Neuroradiologie (DGNR), Dresden.

Aus den Anfängen der Neuroradiologie in den 20er Jahren des letzten Jahrhunderts haben sich weitgehende klinische und wissenschaftliche Möglichkeiten entwickelt. Heute sind Neuroradiologen unverzichtbare Spezialisten, wenn es um die Diagnose und die Therapie der Volkskrankheit Schlaganfall geht; ihre minimal-invasiven Therapiemethoden sind den Eingriffen der Neurochirurgie ebenbürtig oder überlegen; als Bildgeber und Bildinterpreten sind sie unverzichtbar, wenn es darum geht, die Geheimnisse menschlichen Denkens und Fühlens zu ergründen. Ein Blick auf die verschiedensten Arbeitsgebiete dieser spannenden Wissenschaft.

Interventionelle Neuroradiologie – mit dem Katheter im Gehirn
Neuroradiologische Interventionen sind vor allem Gefäßbehandlungen. Der Neuroradiologe führt den Katheter über die Leistenarterie oder die Arterie der Ellenbeuge ein und gelangt über die Halsschlagader in die betroffene Hirnregion. Unter Durchleuchtungskontrolle "repariert" der Radiologe die Gefäße: indem er Stenosen mit dem Ballon weitet und mit Stents dauerhaft öffnet oder indem er bei Gefäßfehlbildungen, Angiomen, Gefäße verschließt (siehe Bildergeschichte). Die neuroradiologischen Interventionen etablieren sich mehr und mehr als schonende Verfahren verschiedenster Gefäßerkrankungen des Gehirns. Sie machen einen beträchtlichen Teil neuroradiologischen Arbeitens aus.

Neuroradiologische Diagnostik – Time is brain
Im Zentrum neuroradiologischen Interesses steht die Diagnose von Schlaganfällen. Die frühe Kenntnis darüber, welche Hirnregionen betroffen sind und in welchem Ausmaß sie von der Blutzufuhr abgeschnitten sind, hilft wesentlich bei einer schnellen und zielgenauen Therapie. Auch bei anderen verbreiteten Krankheiten wie der Multiplen Sklerose, der Epilepsie oder den Hirntumoren, beeinflusst die neuroradiologische Diagnostik die Behandlung wesentlich. Darüber hinaus beginnen Forscher auf dem Gebiet der Neuroradiologie auch damit, bislang so wenig fassbaren Erkrankungen wie Demenzen auf die Spur zu kommen. Teilweise gelingt dies bereits, bevor die Erkrankung klinisch manifest wird.

Funktionelle MRT – den Hirnstoffwechsel sichtbar machen
Eine für die Hirnforschung besonders attraktive Untersuchungsmethode ist die funktionelle Magnetresonanztomografi e (fMRT). Sie verbindet hohe morphologische Genauigkeit mit der Visualisierung von Stoffwechselvorgängen.

Das bedeutet:
Man sieht auf den MTR-Aufnahmen, welche Hirnregion bei einem bestimmten Experiment besonders stark stimuliert wurde – wenn der Proband etwa auf das Nomen "Hund" mit einer Verb-Assoziation (bellen, knurren, winseln...) antwortet. "Dem Gehirn beim Denken zusehen", sagen die Neurowissenschaftler dazu. Die funktionelle MRT hat den Vorteil, dass mit ihr an gesunden Probanden Untersuchungen durchgeführt werden können, da die MRT praktisch keine Nebenwirkung nach sich zieht.

Bei der Diagnose und vor allem der immer tiefergehenden Erforschung psychiatrischer Krankheiten wie der Schizophrenie oder der Depression spielt die fMRT eine eminente Rolle. Viele Forschungen der Psychiatrie sind ohne die Neuroradiologie nicht denkbar.